Die Diskurswerkstätten sind ein neues Format des Netzwerks Interaktiv, mit dem wir einen Austausch über verschiedene Aspekte der Digitalisierung anregen. Gemeinsam mit verschiedenen Gästen erörtern wir unterschiedliche Themenschwerpunkte und werden so eine Standortbestimmung der Akteur*innen unseres Netzwerks erarbeiten.
Bei unserer ersten Diskurswerkstatt am 1. März 2023 im Café Netzwerk begrüßten wir Dr. Roland Poellinger, der seit 2018 bei der Münchner Stadtbibliothek als Leiter der Abteilung eServices (Bibliothekstechnologien und -systeme) arbeitet. Er erläuterte einführend die aktuellen Veränderungen in der Bibliothekslandschaft und die Vision der Münchner Stadtbibliothek als Ausgangpunkt für die Formulierung einer „Digitalen Strategie“, die Ende 2022 vorgestellt wurde.
Impuls von Roland Poellinger
Die Stadtbibliothek sieht sich vielen Veränderungen gegenüber: München wird größer und dichter, die Stadtgesellschaft wird diverser und die Menschen haben neue Erwartungen. Der Wissensbegriff verändert sich, da Informationen jederzeit und überall abrufbar sind, und damit entwickelt sich auch die zentrale Funktion einer Bibliothek weiter, die mit einem neuen Selbstverständnis agieren muss. Die Digitalisierung als fundamentaler Kulturwandel wirkt sich nicht nur auf das Medienangebot der Bibliotheken aus, sondern auch auf ihre Veranstaltungen, auf Ansätze zur Medienkompetenzförderung sowie auf die interne und externe Kommunikation.
Die digitale Strategie der Münchner Stadtbibliothek steht im Kontext einer längerfristigen Vision und soll nicht als Plan zur Digitalisierung verstanden werden, sondern als wertebasierter Wegweiser, der die Bedürfnisse der Kund*innen in den Fokus nimmt. Zu zentralen Werten der Strategie zählen z.B. Nachhaltigkeit, Teamwork, Inklusivität und Offenheit. Dies spiegelt sich auch in den zentralen Zielen der Strategie wieder: hier sind räumliche und technische Teilhabemöglichkeiten ebenso als Ziel definiert wie inspirierende Dialoge, intelligent vernetzte Systeme und eine wirksame Datenanalyse.
Das Kernziel ist eine „offene Bibliothek“, deren nicht-kommerzieller Charakter ein wichtiges Angebot für die Stadtgesellschaft darstellt und die vielfältige physische, virtuelle und soziale Räume, Gedankenwelten und Erlebnisräume bereithält. Beispielsweise sollen auch historische Bestände der Stadtgesellschaft in digitalisierter Form zugänglich gemacht und mit anderen Beständen verschränkt werden (vgl. Coding DaVinci und OpenLabs). Die „Offenheit“ soll somit Haltung und Grundsatz für die Räume und Angebote der Münchner Stadtbibliothek sein.
(Die Folien von Roland Poellinger stehen zum Download bereit.)
Diskussionsrunde
Bei der anschließenden Diskussion wurden unterschiedliche Aspekte der Digitalisierung einer großen Institution wie der Stadtbibliothek näher beleuchtet.
So wurde beispielsweise die Implementierung einer derartigen Strategieentwicklung im eigenen Haus besprochen. Im Fall der Münchner Stadtbibliothek wurde die Digitalstrategie aus der gemeinsamen Vision des ganzen Hauses entwickelt, es ging auch um die Frage nach vorhandenen Ressourcen, bestehenden und erweiterten Aufgaben und der Ansprache (neuer) Kund*innen.
Als eng verbundene Maßnahme wurde neues Datenanalyse-Verfahren implementiert, um alle anfallenden Statistiken langfristig besser auswerten zu können. Hinzu kommt der Aspekt, dass ein Strategiepapier immer auch ein politisch wirksames Instrument ist, um für Externe die Aktivität und Attraktivität einer Einrichtung zu belegen.
In einem stadtweiten Monitoring werden alle Digitalisierungsmaßnahmen zusammengefasst und dem Stadtrat vorgelegt, damit die Entwicklungen transparent nachvollziehbar sind. Wichtig ist dabei jedoch, dass es nicht um einen „Effizienzgewinn“ geht, in dessen Verlauf Arbeitsplätze eingespart werden können, sondern um eine kontinuierliche Weiterentwicklung und um die Entwicklung neuer Kompetenzen im Team.
Mit Blick auf die anvisierten Zielgruppen und die erreichten Nutzer*innen werde es zunehmend wichtig, niedrigschwellige Zugänge zu schaffen, um Teilhabe für alle Interessierten zu ermöglichen. Eine „digitale Inklusion“ muss daher neben dem Zugang zur Technik auch Zugang zu entsprechenden Kompetenzen und Veranstaltungen umfassen sowie eine hohe Sensibilität für das Thema auf allen Ebenen mit sich bringen.
Erörtert wurde auch die Frage, ob durch digitale Neuerungen auch neue Werte und Normen entstehen (müssen) oder ob das bestehende Wertegerüst ausreicht. Meist kämen entsprechende Überlegungen und Planungen zu der Erkenntnis, dass die vorhandenen Werte in den digitalen Raum übertragen werden können, weil sie auch dort Gültigkeit finden. Die Digitalisierung verändert also unsere Gesellschaft, aber nicht unsere Werte.
Die Münchner Stadtbibliothek versteht sich auch als „offener Raum“ für externe Partnereinrichtungen, die ihre Räumlichkeiten auch als Medienprojektorte öffnen möchte. Die Technik ist derzeit nicht in allen Stadtteilbibliotheken auf einem einheitlichen Stand, doch an der Vereinheitlichung des Ausstattungsstandards wird gearbeitet. Die Kooperationsbereitschaft der Stadtbibliothek könne als Grundvoraussetzung für künftige Partnerprojekte angesehen werden.
Zudem stellt die Stadtbibliothek neue „Datenräume“ zur Verfügung. Beispielsweise werden einige Werke aus dem Literaturarchiv als „open data“ veröffentlicht und allen Interessierten zugänglich gemacht. Derzeit können diese nur über den internen Medienkatalog abgerufen werden, zukünftig sei jedoch auch eine offene Schnittstelle geplant.
Insgesamt zeigte diese Diskurswerkstatt einige spannende Punkte auf, die die Digitalisierung in großen Häusern wie der Münchner Stadtbibliothek mit sich bringt. Wir sind gespannt auf die anstehenden Entwicklungen und freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek, die im Netzwerk Interaktiv seit Jahrzehnten als engagierte Partnereinrichtung mitwirkt. Herzlichen Dank nochmal an Roland Poellinger für die spannenden Einblicke.
(Text: Sonja di Vetta, Björn Friedrich; Fotos: Jannick Beeching)